Wie hört mein Kind?

Ein Beitrag von Dr. Sigrun Imhäuser

„Ihr Kind ist noch zu jung für einen Hörtest“. Haben Sie diesen Satz auch schon einmal gehört? Dann werden Sie nach dem Lesen dieses Artikels zu dem Schluss kommen, dass es für einen Hörtest nie zu früh, aber leider oft zu spät sein kann. Ein Kind, das nicht hören kann, entwickelt auch keine Sprache. Je später die Hörstörung erkannt wird, desto gravierender sind die Auswirkungen. Hören ist für die kindliche Entwicklung wie ein Schlüssel zum Erfahren der Welt. Eine neue Wortbedeutung erschließt sich, indem das Kind immer in einem bestimmten Kontext einen Begriff hört, z.B. das Wort „Ball“ in Zusammenhang mit einem runden Gegenstand, den man rollen und werfen kann. Eingeschränktes Hören beeinträchtigt den Aufbau von Wortschatz und Sprachverständnis, führt zu Aussprache- und Grammatikfehlern und darüber hinaus zu psychischen und sozialen Problemen.

Hörtests bei Säuglingen

Bereits im frühen Säuglingsalter kann das Gehör über zuverlässige Testverfahren geprüft werden, wobei mit hochsensiblen Mikrofonen die Funktionsfähigkeit des Innenohrs getestet (Messung der otoakustischen Emissionen) oder die Weiterleitung von Schallsignalen über den Hörnerv gemessen wird (BERA-Test).

 

Die Hörschwelle, also die leiseste Lautstärke, bei der Ihr Kind die vorgegebenen Schallsignale noch wahrnimmt, kann so auch ohne aktive Mitarbeit des Kindes bestimmt werden.

Diese sogenannten objektiven Testverfahren (objektiv, da die Kooperation des Kindes nicht erforderlich ist, sondern ein Gerät objektive Messungen vornimmt), werden ergänzt durch subjektive audiometrische Verfahren. Dabei ist die Mitarbeit und Aufmerksamkeit des Kindes nötig.

 

Am besten gelingen diese Messungen mit einem ausgeruhten, gesättigten und zufriedenen Kind, das bereit ist, mit einem freundlichen Erwachsenen zu spielen und zu kooperieren.

Während bei sehr kleinen Kindern die Reaktionen auf akustische Reize einer bestimmten Lautstärke (Wobbeltöne, Geräusche wie Hundegebell oder Kirchenglocken, Kinderlieder) registriert werden, kann das Kind ab dem 2. Lebensjahr aktiv in den Hörtest eingebunden werden. Es wird angeleitet, immer dann ein Klötzchen in ein Steckbrett zu stellen, wenn ein akustisches Signal über Lautsprecher oder Kopfhörer zu hören ist. In der Sprachaudiometrie werden altersabhängig geeignete Worte aus dem kindlichen Sprachwortschatz angeboten. Diese werden vom Kind entweder nachgesprochen oder es zeigt auf entsprechendes Bildmaterial.

 

Eine fachgerechte Abklärung des kindlichen Hörens erfordert, außer bei sehr kleinen Säuglingen, immer die Durchführung sowohl objektiver als auch subjektiver Hörtestverfahren und benötigt daher viel Zeit und Geduld.

Früherkennung kindlicher Hörstörungen

Unerlässlicher Bestandteil einer fachärztlichen Abklärung des Gehörs beim Kind ist die Untersuchung der Ohren mit dem Ohrmikroskop, das im Vergleich zum Otoskop eine stärkere Vergrößerung aufweist. So können Ablagerungen von Ohrenschmalz oder Fremdkörper erkannt und entfernt werden. Auch der bei Kindern so häufige Paukenerguss, eine Schleimansammlung hinter dem Trommelfell aufgrund von Erkältungen oder nach abgelaufenen Mittelohrentzündungen, wird dadurch diagnostiziert und einer Behandlung zugeführt.

 

Eine Untersuchung des kindlichen Gehörs sollte immer ohne Zeitverzug erfolgen, wenn im Alltag Hörprobleme auffallen. Hinweise dafür können sein, wenn ein Säugling schrill schreit oder sein Lallen im Alter von 6-8 Monaten verstummt, wenn sich aus dem Lallen heraus keine Silbenketten und erste Wörter zu entwickeln beginnen, keine Aufträge befolgt werden können, Schallquellen nicht lokalisiert werden oder ihr Kind immer wieder nachfragt.

Der Facharzt für Phoniatrie und Pädaudiologie

Es gibt eine eigene Facharztdisziplin, die sich mit dem kindlichen Hören beschäftigt, den Facharzt für Stimm-, Sprach- und kindliche Hörstörungen, auch Facharzt für Phoniatrie und Pädaudiologie genannt. Neben einer HNO-Ausbildung verfügen solche Fachärzte über spezielle Kenntnisse zur Diagnostik und Therapie kindlicher Hörstörungen. Phoniatrisch-pädaudiologische Praxen halten nicht nur die neueste Technik zur Beurteilung des kindlichen Gehörs bereit, sondern bieten auch ein kindgemäßes Ambiente. Im Umgang mit Kindern geschulte und bestens weitergebildete Mitarbeiter motivieren die kleinen Patienten spielerisch zur Kooperation. Da keiner der pädaudiologischen Tests schmerzhaft ist und sich die Kinder in der Regel sehr gerne auf die spielerischen Aktivitäten einlassen, können die Eltern fast immer mit einer abgesicherten Diagnose und einem weiterführenden Therapievorschlag die Praxis verlassen.

 

Glücklicherweise sind die meisten kindlichen Hörstörungen im Mittelohr lokalisiert und nur vorübergehender Natur. Sie können durch eine gezielte Behandlung beseitigt werden. Bei Vorliegen der weniger häufigen Innenohrschwerhörigkeiten sind in den letzten Jahrzehnten bedeutende medizinische und technische Fortschritte gelungen, so dass bei frühzeitiger Erkennung, Versorgung und adäquater Förderung heute nahezu jedem Kind eine gute Entwicklung seiner Kommunikationsfähigkeit offensteht.